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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ist das eigentlich Kunst bei USFO?



Wolf
07.03.2010, 00:32
Ein Thread für den intellektuellen Disput

Kunst kommt von Können? Jeder ist ein Künstler? Wahre Künstler bleiben zu Lebzeiten meist verkannt? Kunst und Kommerz schließen sich aus?

Jeder hat eine andere Meinung zu Kunst, zieht die Grenzen zwischen Kunst und Kunsthandwerk, Kunst und genialem Stümpertum, Kunst und Kitsch individuell für sich. Die eine theoretisch fundiert mit Adorno im Gepäck, der andere gefühlsmäßig danach, was sein Herz berührt, um einmal die typischen Geschlechterklischees zu bedienen.

Die Ground Rules hier:
- Jeder darf seine Meinung haben.
- Niemand hat mit seiner Meinung unrecht oder einen schlechten Geschmack.
- Nur falsche Tatsachenbehauptungen werden beanstandet.

Ein paar Teaser für die Diskussion:
- Ist es Kunst oder bloßes Handwerk, wenn Jennifer Songs so covert, dass sie genauso wie das Original klingen?
- Ist Christian der einzig wahre Künstler im Halbfinale, weil er eigene Songs schreibt und singt?
- Macht Kerstins unkonventionelle Kleiderwahl ihre Auftritte zu einem Gesamtkunstwerk?
- Wären Lenas kreative Interpretationen erst dann Kunst, wenn sie ihr Sangeshandwerk perfekt beherrschte?
- Hat Mozart (entscheidet selbst, ob ihr Wolfgang Amadeus oder den Frontman von „Umbra et Imago“ meint) gar keine Kunstmusik sondern Popmusik komponiert?
- Sind Symphonieorchester nicht eigentlich auch nur Coverbands?

Ring frei!

manyl
07.03.2010, 22:32
alle achtung, wolf ! du hast es geschafft, ein sehr, sehr, sehr anspruchsvolles thema so aufzubereiten, dass einem der einstieg leicht fällt, sofern man natürlich sich überhaupt für solche fragen interessiert. bravo !
schade, dass noch keiner dazu schreiben wollte.

ich mach mal den anfang, indem ich zunächst sage :
eine grund-definition des begriffs kunst - erst recht anhand von prominenten philosophen und intellektüllen :) - sollten wir hier nicht aufziehen. auch wenn wir längst gemerkt haben, dass du ein faible für zitate und literarische vorgaben hast. ;)
das würde jeden rahmen hier sprengen. leider !!! :( (bei einem bier würde ich das liebend gern machen ! oder halt in texten, die seitenlang pro beitrag sind ;))

aber ich greife gern deine vorgeschlagegen anhaltspunkte auf :
(dabei verwende ich nun meine ganz persönliche auffassung vom begriff "kunst")

- es ist kunst UND handwerk bei jennifer ! wenn auch nur in geringem maße. denn einerseits feilen am vorgegebenen detail - also keine neu-kreation, aber sie färbt es dann doch mit ihrer eigenen stimme und performance - also in maßen schöpferisch. und kreativität gehört für mich dazu - auch wenn man durchaus mal etwas "kunstvoll" nennen kann, das "nur" ergebnis von handwerklichem können ist, weil es einfach einer liebe zum detail entspringt.

- christian ist nach meiner auffassung am meisten künstler, weil er (fast) ganz neues schafft. allerdings müsste er noch mehr eigenes bringen, um mich ganz davon zu überzeugen. und es müsste etwas weiter weg von bekannten schemata sein - in bezug auf melodien, rhythmen, texte. aber er is ja auch noch so jung - da gelten die kriterien noch nicht ganz so strikt, meine ich.
lena wiederum erschafft ihre ganz eigene bühnen-präsenz und interpretation. so gesehen liegt sie mit christian in etwa auf einer stufe, was kreativität angeht. schon allein, weil ihre songs (uva !) eigener sind in ihrer art.

- kerstins auftreten ? nur bedingt. ich empfinde es mehr als anpassung - an ihre songs, ihr körperliches aussehen und die erzielbare harmonie und wirkung damit. kerstin hat stil. und ich finde ihre auftritte meistens sehr ästhetisch. aber kunstvoll im engeren sinne nicht.

- "perfektes sangeshandwerk" ist sehr interpretationsbedürftig ! teilweise sind es ja gerade die "fehler", die ihre eigene wirkung entfalten, und die interpretation zur schöpfung machen ! zb das nuscheln am ende des letzten songs war für mich - auch wenn ichs original nie gehört hab - ganz klar dazugehörig !

- mozart und orchester gehören hier nicht hin ! das führte viel zu weit.

"runde drei" ? ;)

mir fällt im hinblick auf deine überschrift noch ein :
ist es kunst, wie die show selbst, das drumherum gestaltet sind ?

manyl
09.03.2010, 19:39
will doch noch was nachreichen :

natürlich ist mir klar, warum du wohl mozart und orchester auch angeführt hast. zumindest lassen sich da auch zusammenhänge zum thema sehen :
wie beeinflusst bzw bedingt ein naturtalent wie von mozart (und lena :)) die auffassung von kunst in diesem zusammenhang ?
und was spielt es für ne rolle, wenn das kunstwerk nicht allein vom einzelnen sänger geleistet wird ?
gute fragen, ja.
aber das würde eben zu weit führen, denke ich.

echt schade, dass niemand ausser uns beiden gefallen an diesem "disput" :) findet ! is wohl vielen zu theoretisch.
apropos "dis-" : wolltest du nur die fragen aufwerfen oder steigst selbst mitein ? ;)
oder findst es unlohnend, wenn sonst keiner mitmacht ?
...würde ich verstehen...

Wolf
10.03.2010, 01:48
Ich hatte diesen Thread zuerst im USFO.de-Forum gestartet, eigentlich mit zwei Ideen: Zum einen einfach aus Interesse an anderen Meinungen zu Thema, zum anderen um zu testen, wie lange sich in der dort teils arg vergifteten Atmosphäre ein "herrschaftsfreier Diskurs" aufrechterhalten lässt. Da ich die Ground Rules festgelegt hatte, wollte ich mich inhaltlich zumindest anfangs raushalten, mich höchstens als Schiedsrichter einmischen, wenn es unumgänglich würde.

Als ich dann dort den Thread gestartet hatte, dachte ich, es wäre vielleicht ein interessantes Experiment, den Diskussionsverlauf dort und hier zu vergleichen.

In beiden Foren nur eine Antwort - war wohl doch zu intellektuell für die meisten, also leider wenig Vergleichsmöglichkeit. Auf jeden Fall herzlichen Dank für Deine! Inhaltlich steige ich in den nächsten Tagen noch mal in die Diskussion ein, bin aber zur Zeit im Job ziemlich eingespannt und möchte auch im RL weiterleben, daher kann das evtl. noch ein paar Tage dauern.

wonfa
10.03.2010, 03:39
Ab einer gewissen Länge werden Postings nicht mehr gelesen, bzw. von den meisten nur noch überflogen, deshalb möchte ich nur eine These aufgreifen:

Symphonieorchester sind definitv keine Coverbands. Nur vordergründig kann man dieser Ansicht sein. Wenn man weiss, welch ein komplexes Werk eine Symphonie darstellt, muss klar sein, dass nicht jedes Orchester seine eigenen Symphonien haben kann. Man kann es auch andersrum sagen. Symphonien wurde dafür geschrieben, dass Orchester diese Werke immer wieder aufführen können. Da gibt es keine Originalversion, die mit der Coverversion zu vergleichen wäre. Sondern man spielt immer das Original.

Warum gibt es überhaupt diese Orchester, die nicht unbeträchtliche Steuermittel kosten?

Sie sind Kulturträger.
Wie würde sich Deutschland ohne Beethoven und Wagner definieren? Wie wäre es mit Italien ohne Verdi oder Puccini? Oder Österreich ohne Mozart und Strauss? Selbst die USA mit George Gershwin kann man anführen. Diese Komponisten und noch viele Andere müssen einfach immer wieder gespielt werden. Ihre Werke sind zu schön und auch zu wichtig um sie dem Strom der Zeit und der Vergessenheit anzuvertrauen.

In den Musikwissenschaften sind viele Werke von herausragender Bedeutung. Ganz besonders ist da Beethoven zu nennen, der bereits in der Sechsten, deutlicher noch in der Achten und endgültig in der neunten Symphonie mit der klassischen Kompositionsstruktur, darunter der Sonatenhauptsatzform, wie sie Mozart noch verwendete, brach. Er war gewissermassen musikalisches Bindeglied zwischen Klassik und Romantik. Er führte die Musik in die Romantik, noch bevor diese Phase in der Literatur auch nur annäherend erkennbar wurde. Das "Oh Freunde, nicht diese Töne", war gewissermassen musikalisches Credo für den Aufbruch in eine neue Zeit. Die grossen Komponisten der Romantik (Schubert, Schumann, Bruckner, Mendelssohn und auch meine Haßliebe Chopin kann man dazuzählen) wären ohne diese Vorarbeit schwer denkbar.

Die Gegenthese: Wäre die heutige Pop-Kultur ohne Beethoven überhaupt denkbar? Was wäre in der Musik passiert, wenn es niemand gewagt hätte, die Sonatenhauptsatzform "aufzubrechen"? Hätte es dann überhaupt eine Romantik in der Musik gegeben. Was wäre aus der Moderne geworden? Schwer denkbar, von der Klassik direkt zur Zwölftonmusik zu gelangen.

sany
10.03.2010, 04:20
In dem Forum wurde teilweise das exakte und genaue Nachspielen eines Orchesters als Kunst bezeichnet. Aber macht dass exakte Spielen eines Werkes dieses zur Kunst? Dann kann man doch gleich eine CD (oder anderen Datenträger) nutzen. Genauer wird man es nicht hinbekommen. Oder den Dirigenten durch Metren (für jeden Akteuer eines) und Lautstärkemesser ersetzen, damit jedes Mitglied des Orchestern "exakt" spielen kann.

Oder ist es vielmehr Kunst, diese Orginal-Version zu variieren? Wenn auch nur minimal, unmerklich, mit der Geschwindigkeit, den Tönen und Einsätzen zu spielen und jedes Mal etwas anders zu klingen (auch wenns der normale Zuhörer wahrscheinlich nicht merkt). Wenn ein Orchestermitglied das Stück immer gleich spielen müsste, wäre das glaube recht langweilig.

Nkechi
11.03.2010, 18:48
omg @Wolf ...
... dieser Diskussion die du hier und bei USFO.de als Feldversuch gestartet hast fehlt m.M. nach der Keim für eine Auseinandersetzung und der erkennbare Focus. Zu allgemein diskutiert wird daraus schnell eine Einigkeit: Nämlich die, dass Kunst frei von festschreibenen Regeln sein SOLLTE und dass deren Güte nur durch die Wahrnehmung des einzelnen Betrachters bewertet werden kann, also Kunst sich immer anarchisch einen Weg sucht raus aus Begrenzungen und hin zu einem Herz, das sie berühren kann.

Von Orchester live eingespielte Kompositionen alter und neuer Werke sind vielschichtige Ausdrucksformen von Musik als Kunst:
a) Der Interpretation und Absicht des Dirigenten
b) Der Kunstfertigkeit der Musiker auf kunstvoll gearbeiteten Instrumenten
c) Der Umsetzung und Absicht des Komponisten in bewegter Form
d) Der aus dem zeitlichen Kontext resultierenden Werkform und Hörgewohnheiten
e) Den Wechselwirkungen zwischen Klängen und Empfindungen, nicht nur beim Menschen

Ähnliches findet sich im Tanz und Schauspiel. Je authentischer sich der jeweilige Ausdruck mit dem eigenen Empfinden verbinden, desto überzeugener wirkt die Verbindung zwischen Künstler und Betrachter, kurzum je mehr Magie liegt in dem Vertrag.
- omg is' das ein trockener Stoff, wie du siehst berührt das Thema die Philosophie, Zeitgeschichte und Naturwissenschaft, kann das in einem Fanforum ernsthaft echte Aufmerksamkeit bekommen? ;)